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Schöffin in Hamburg – Das vierte Jahr

Last updated on 2023-12-27

Heute schneite mir die erste Einladung für eine Gerichtsverhandlung im Jahr 2023 ins Haus – ein idealer Zeitpunkt also, meinen Rückblick auf das Schöffenjahr 2022 zu verfassen.

2022 war eher wenig aufregend, obwohl ich letztes Jahr noch vermutete, dass mir mehr Fälle ins Haus flattern würden. Und tatsächlich hatte ich einen Richter mit einer hohen „case load“ erwischt. Das äußerte sich aber vor allem darin, dass viele Dinge sehr fix und eher nebenbei abgehandelt wurden, ein Ansatz, den ich angesichts der Belastung der Amtsgerichte verstehe, aber den ich dennoch nicht wirklich toll fand. Gleichzeitig hatte ich bei meinen Einsätzen jedes Mal einen anderen Mitschöffen, was die Erfahrung auch irgendwie … seltsam machte.

Zwei Fälle ergaben eine interessante Juxtaposition. In dem einen Fall ging es um einen wirtschaftlich eher belanglosen Schaden, entscheidend für die Strafe war am Ende, dass „in das Heim“ des Opfers eingebrochen wurde. Im anderen Fall ging es um einen schweren, dauerhaften körperlichen Schaden, der den Geschädigten, einen jungen Mann von knapp 20 Jahren Alter, für den Rest des Lebens stark beeinträchtigen wird. Beide Sachverhalte werden vom Gesetzgeber als quasi „gleichwertig“ behandelt, was mir unverhältnismäßig erschien. Im zweiten Fall habe ich bewußt die höchste Strafe verhängt, die ich als Schöffin jemals zu vertreten hatte. In beiden Fällen war die Strafe aber etwa gleich hoch.

Zweimal bin ich für mehr oder weniger ein Ram-Wham-Thanks-Mam angetreten. In anderen Worten: eigentlich stand alles fest und war geregelt, einmal war in 15 Minuten nur ein Urteil zu sprechen; einmal dauerte es eine knappe Dreiviertelstunde, weil der Beklagte geständig war. In beiden Fällen hatte ich aber das Gefühl, als Schöffin nur schmückendes, dem Buchstaben des Gesetzes nach halt notwendiges, aber überflüssiges Beiwerk zu sein – etwas, das mir in den drei Jahren zuvor so nicht passiert war. Erneut, ich kann das inhaltlich bei der Belastung der Amtsgerichte nachvollziehen und nehme es auch keinem übel, dennoch denke ich mir, dass das nicht der Sinn eines Schöffengerichts sein sollte.

Der seltsamste Tag war aber sicherlich der, an dem an dem Gerichtssaal, in dem mein Fall hätte verhandelt werden sollen, Kameras aufgebaut waren, und ganz andere Namen angeschlagen standen, und ich 10 Minuten vor Verhandlungsbeginn feststellte, dass wir verlegt wurden, weil in besagtem Gerichtsaal eine medienwirksame Nummer mit einem Querdenker-Blogger stattfand, der auch in den Verhandlungspausen seines Falles flammende Reden vor laufenden Kameras über den evil Überwachungsstaat hielt. (Als Schöffe kann man durchaus sehr kritisch werden, was die Vorgehensweise der Polizei und Justiz angeht, aber das war dann doch in der Kategorie völlig gaga).

Ende November habe ich meine Zuweisung für das kommende Jahr bekommen. Erneut das Amtsgericht Wandsbek, ein neuer Richter, ich bin gespannt. Zwar hätte ich auch gern mal ins Landgericht geschnuppert und einen „großen“ Fall erlebt, aber kleine, kurze Verfahren haben ja für die Lebensplanung auch ihre Vorteile…

In den letzten Jahren musste ich jeweils für die Abrechnung der Schöffentätigkeit meinen ganzen finanziellen und Kontakt-Krempel neu einreichen, obwohl der vorlag, und sich nicht verändert hatte. Dieses Jahr: bestätige doch kurz, dass du die Info bekommen hast. Auch neu: anstelle von 12/13 Terminen dieses Jahr nur acht – ich vermute stark, der Richter hat seine eigenen Urlaubszeiten gleich mal vorab eingepflegt. Die Dinge bewegen sich also auch in der Hamburger Justiz, wenn auch in glazialen Geschwindigkeiten…

Abschließend die Frage: will ich nochmal fünf Jahre dranhängen?

Das Drängen von AfD und Reichsbürgern in Schöffenämter lässt mich über das Problem nochmal nachdenken, aber aktuell geht die Tendenz zu: nein. Nicht, weil ich die Aufgabe einer Schöffin langweilig oder unwichtig fände – au contraire – sondern weil ich gern in den folgenden 5 Jahren mein Leben wieder gern etwas freier planen würde.


 Schöffin in Hamburg

Veröffentlicht in Querbeet

6 Kommentare

  1. Caroline Caroline

    Hallo, sehr interessanter Bericht!

    Ich habe noch eine Frage: verstehe ich das richtig, dass man als Schöf:in seinen Urlaub um die Einsätze herum planen muss?
    Also eine Ansage wegen Urlaub ist nicht möglich?
    Wie sieht es mit anderen kurzfristigen Absagen aus: Kind ist krank, keine Betreuung für das Kind ist vorhanden, ich bin krank?

    Ich würde mich sehr über eine Rückmeldung freuen!

    Herzliche Grüße

    • Hallo Caroline,

      danke für deinen Kommentar! Es freut mich, dass du mit meinen Berichten aus dem Schöffen-Dasein etwas anfangen kannst.

      Ja, zum Thema Urlaub wollte ich schon länger mal was schreiben, wird wohl mal Zeit. Lass mich aber hier gerade das Feld von hinten aufrollen…

      Krank sein als Schöffin ist, ganz einfach, wie krank sein im Job. Wenn du krank bist (oder kind-krank), meldest du dich telefonisch möglichst frühzeitig krank beim Gericht. Das Gericht will dann im Zweifel von dir noch einen Beleg (eine Krankschreibung vom Arzt, wie ein Arbeitgeber.) Das hat nichts mit Dir und sehr viel mit juristischen Problemen zu tun. Wie das genau aussieht, sagt dir dann die zuständige Schöffenstelle, mit denen du telefonierst. (Ich hatte den Fall bei mir selbst zum Glück nie).

      Was mir dann auch den Übergang zu der anderen Frage erleichtert: das Gericht ist im Grunde wie ein Arbeitgeber. Deinen Urlaub musst du möglichst frühzeitig planen. Wenn du Urlaub geplant (und erst recht: gebucht) hast, gib dem Gericht schriftlich, wann und wie und wie lange du in Urlaub sein wirst. Als Schöffe / Schöffin stehen dir zweimal im Jahr 2-3 Wochen Urlaub zu. Die musst du nicht um deine Gerichtstermine legen, aber du musst dir klar sein, dass du auch nicht ‚mal eben‘ irgendwo hin fahren kannst, wenn du theoretisch im Gericht verfügbar sein solltest. Plane deinen Urlaub, teile ihn dem Gericht schriftlich mit, damit die dort planen können, und alles ist gut.

      Schwierig wird es mit kurzfristigen Unternehmungen. Im Strafgericht müssen Folgetermine zwingend binnen drei Wochen stattfinden, und die Schöffen des ersten Termins müssen dabei sein. Tauschen ist nicht. Wenn du als Schöffin bei einem Termin warst und es einen Folgetermin gibt (was sich im Lauf der Verhandlung ergeben kann), musst du den wahrnehmen – weil sonst das ganze Verfahren neu anfangen muss. Mir hätte beinahe dieses Jahr ein Fall meinen Urlaub zerschossen, aus genau diesem Grund. Wenn das Gericht weiß, dass du einen Urlaub gebucht hast, wirst du im Zweifel halt für sowas nicht eingeladen. – Hilft dir das weiter? Ansonsten frag mich gern.

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