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Busgespräche: Von Respekt, Demokratie und Erziehung

Last updated on 2021-12-09

Im Linienbus. Es ist Wochenmarkt, der Bus ist voll. Hinter mir unterhält sich ein Mann mit nahöstlichem Aussehen mit einer älteren Dame, schätzungsweise an die 80. Unterhält bedeutet in diesem Fall, er erklärt ihr – nicht unhöflich, und wortreich – wie er die Welt sieht. Als ich einsteige, dreht sich das Gespräch, beinahe vorhersehbar, gerade um die Arbeitsmoral junger Menschen.

Wissen Sie, ich habe ja auch Mitarbeiter, ich hab mein eigenes Geschäft. 10 Leute hab ich. Die jungen Deutschen, die sind reich, die wissen nicht was arbeiten ist. Die kriegen 10 Euro die Stunde, und die sind reich, die wollen gar nicht arbeiten, die sind faul, hängen nur rum. Ich hab diese syrischen Jungs, die strengen sich an, die wollen Geld verdienen, die brauchen das Geld. Die anderen kriegen es doch nur von den Eltern zugeschoben. Wie sollen die lernen was arbeiten ist. Ich hatte nix, ich bin ja auch Ausländer. Alles erarbeitet.  Ich hab 300.000 Euro in mein neues Café investiert. 300.000. Da hab ich für gearbeitet. Die syrischen Jungs, die arbeiten hart, dann muss ich denen auch Verantwortung geben, dass sie mehr verdienen können. Und irgendwann sind die die Reichen. Die Deutschen verstehen das nicht. Ich erziehe meine Kinder anders. — Haben Sie Kinder?

Die Zuhörerin bejaht, erklärt dass ihre Kinder auch schon alt seien.

Das ist ja gut, dann sind sie die, die dieses Deutschland aufgebaut haben, sie verdienen doch Respekt, das verstehen die auch nicht. Den Respekt. Ich, ich kenn Sie ja nicht, aber  ich steh doch auf im Bus, wenn Sie kommen, Sie haben den Respekt verdient, das gehört sich so, das kapieren diese Jugendlichen nicht. Respekt, das ist ja auch dieses… ich bin in einem Ort wo 50.000 Leute leben. In einem kleinen Ort da kennen sich die Leute, respektieren sich. Mein Vermieter, der schickt alles per Post. Der wohnt über mir, aber der kommt nicht in meinen Laden und redet mit mir, alles per Brief,  versteh ich nicht, und ich frage ihn, ey, warum kommst du nicht in meinen Laden? Der sieht mich im Bus, steigt ein, sagt hallo, aber nichts sonst. Und in einem kleinen Ort – da wo die Leute sich kennen, respektieren – da achtet man aufeinander. Hier, da gehste da hinten (-er deutet vage in die Richtung der Mittelschule, an der der Bus vorbeifährt-) in die nächste Straße, und da kiffen die Kinder. Und die Eltern, die wissen nichts davon, weil keiner weiß dass das ihre Kinder sind, keiner hingeht und ihnen sagt, du, das und das, da musst du mal was tun.

Meine Kinder, die werden erzogen, dass sie Respekt haben, und auch meine Mitarbeiter, denen sage ich ihr müsst doch aufstehen, wenn im Bus ältere Menschen sind. Hier haben wir ja Demokratie. Demokratie ist gut, aber ich muss doch deswegen nicht meine Kinder in Demokratie aufwachsen lassen. Wenn du Demokratie hast, dann kannst du deine Kinder nicht erziehen, dann kommt die Polizei, wenn du mal streng mit ihnen bist. Ich hab drei Kinder, die sind in Deutschland angemeldet, Pass, Sozialversicherung und alles, ordentliche Staatsbürger, dass sie es später mal gut haben. Aber ich will dass sie richtig erzogen werden. Die gehen nicht in Deutschland zur Schule. In den Ferien kommen sie her, und ich fliege zu ihnen, aber nicht in deutsche Schulen wo sie keinen Respekt lernen. Demokratie ist nicht gut für Erziehung.

An dieser Stelle endet meine Busfahrt. Der Mann war um die 40, Habitus und Akzent nach zu urteilen Türke, sichtlich stolz darauf, es aus eigener Kraft geschafft zu haben. In manchen Punkten muss ich ihm beipflichten – it takes a village – und dann frage ich mich wieder, warum für ihn Demokratie bedeutet, dass „die Polizei kommt wenn du deine Kinder richtig erziehst“ und frage mich,  welche Erziehung wohl seine Töchter, die er zwischendrin erwähnt, in der türkischen Schule in  der Türkei Erdogans erhalten, wie in seiner Herkunftsfamilie wohl erzieherische Maßnahmen umgesetzt werden. Ich habe mehr Fragen im Kopf als Antworten.

Auf der Rückfahrt. Meine Haltestelle liegt in der Nähe einer Seniorenwohnanlage. Ein junger Mann, der Optik nach einer der syrischen Flüchtlinge aus der nahe gelegenen Siedlung, hilft einer gehbehinderten Seniorin beim Aussteigen und trägt ihren sperrigen Rollator die Stufen des Nicht-Niederflurbusses hinab. Sie strahlt: „Das ist ja so nett, das ist der Wahnsinn! Vielen Dank!“

Er sieht auf, ein fast scheuer Blick, und sagt in nahezu akzentfreiem Deutsch: „Das ist doch selbstverständlich.“

Veröffentlicht in Querbeet

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