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Schöffin in Hamburg – Das erste Jahr

Last updated on 2023-12-27

Im April 2018 las ich, dass die Freie und Hansestadt Hamburg – wie viele Bundesländer – händeringend Schöffen und Schöffinnen sucht. Schöffen sind ordentlich bestellte, ehrenamtlich tätige Laienrichter:innen, die für eine Amtszeit von 5 Jahren bestellt sind. Sich drücken, weil man keinen Bock hat, ist dann allerdings nicht. Für fest Angestellte gibt es einen Lohnausgleich (der Arbeitgeber muss freistellen), für Freiberufler:innen wie mich ist das weniger prickelnd….

Schöffinnen sind als eine Art Korrektiv zur hoch spezialisierten Judikative angedacht, und sollen Lebenserfahrung und „gesunden Menschenverstand“ in die Urteilsfindung einbringen. Wie das in der Realität aussieht, dazu werde ich am Ende der fünf Jahre einen eigenen Artikel schreiben.

Der Weg zum Schöffenamt

Viele, die in Hamburg zu Schöffen/Schöffinnen werden, werden vom Staat zwangsverpflichtet. (Ja das geht). Ich habe mich für die Amtszeit 2019-2023 freiwillig beworben, weil ich

  1. einen Einblick bekommen wollte, wie unsere Justiz funktioniert, und
  2. einen sinnvollen Beitrag zum Gemeinwesen erbringen wollte.

Ermutigt hat mich auch eine befreundete Juristin, die aus ihrer beruflichen Erfahrung sagte, dass die Justiz dringend „vernünftige“ Schöffen gebrauchen kann; das Drängen der AfD in solche Positionen war ein weiterer Grund, mich zu bewerben.

Es dauerte dann bis in den Dezember 2018, bis ich die Bestätigung bekam, dass ich als Schöffin ausgewählt wurde, und mit gleicher Post auch meine Liste der Termine für das Jahr 2019 erhielt. Für die Urlaubsplanung war der späte Termin ziemlich doof, da der Liebste seine Termine auch zum Jahresende fest machen muss, aber so ist das dann eben. – Zum Thema Urlaub als Schöffe gibt es irgendwann auch noch einen eigenen Beitrag.

12 Termine, oder doch nicht?

Nein, 12 Termine sind es definitiv nicht geworden. Am Ende waren es 4 plus 1 Folgetermin.

Ende des Jahres erhalten Schöffinnen eine Liste mit 12+1 Terminen im Folgejahr, zu denen sie für Einsätze bei Gericht verfügbar sein müssen. Es handelt sich dabei immer um einen festen Wochentag, bei mir im Jahr 2019 der Dienstag. An diesem Wochentag verhandelt der/die Richter/in, dem/der man zugeordnet wurde, die jeweiligen Fälle mit Schöffinnen – genauer gesagt: die Fälle müssen zwingend an diesen Terminen beginnen. Folgetermine an anderen Wochentagen sind durchaus möglich. Richterinnen und Schöffinnen sind für ein Jahr ein Team, danach wird neu ausgelost. In Vertretungsfällen kommen Ersatzschöffen von der Ersatzliste kurzfristig zum Einsatz.

Für jede Verhandlung gibt es dann eine schriftliche gesonderte Einladung, bis maximal 7 Tage vor dem nächsten Termin. Kommt keine Einladung, findet auch nichts statt. Ein Verhandlungstermin wurde bei mir kurzfristig wieder abgesagt.

Bei einem meiner Einsätze, ich glaube es war der Juli, erwähnte ich gegenüber „meiner“ Richterin, dass ich mit mehr Einsätzen gerechnet hatte. Sie erwiderte, dass es bis dato Schöffen gab, die sie noch gar nicht gesehen / eingesetzt hatte, und ich mit X Einsätzen zur Jahreshälfte schon am oberen Ende war. Well.

Das Schöffen-Seminar

Die Hamburger Volkshochschule bietet in Zusammenarbeit mit der Justizbehörde eine Schulung für die frisch gebackenen Schöffinnen an. Mensch kann sich bei der VHS dafür einschreiben, allerdings sind die Termine und Locations eher in der Kategorie „Schön dass wir drüber gesprochen haben“. Dafür sind die Veranstaltungen allerdings auch kostenlos. Ich habe es hinbekommen, mich für ein relativ frühzeitig stattfindendes Seminar einzuschreiben, das dann aber leider in der Schlankreye in der Höheren Handelsschule stattfand, und nicht in Wandsbek. Andere Seminare finden erst weit ins Jahr hinein statt. was denen, die im Januar oder Februar in den Einsatz mussten, ja nun eher weniger hilft.

Das Ganze entpuppte sich als dreiteilige Frontalvorlesung – so ungefähr die Veranstaltungsform, die meinem Lernverhalten am wenigsten entgegen kommt, noch dazu am Abend und am anderen Ende der Stadt. Der Richter, der die Vorlesung in der Aula hielt, hat die Veranstaltung offenbar schon seit Jahren im Programm – an den entsprechenden Abenden mehrfach hintereinander. Für mich erschließt sich hier der Zwang zu einer Präsenzveranstaltung nicht. Warum zeichnet man diese Vorlesungsreihe nicht einmal vernünftig als Video auf und stellt sie dann ins Web, z.B. zu Youtube? So könnten alle, die sich dafür interessieren, darauf jederzeit zugreifen, sich schlau machen, Segmente ein zweites Mal schauen, falls etwas unklar ist… sollten tatsächlich Aktualisierungen notwendig sein, kann man die immer noch einbauen. Wir schreiben 2019… !

Die erste Vorlesung bot in den 90 Minuten Veranstaltungszeit für mich ungefähr 3 halbwegs interessante Punkte auf, für die ich mit An- und Abreise aus HH OstOstOst summa summarum 4 1/2 Stunden aufwenden durfte. In der Folge habe ich die nächsten beiden Veranstaltungen geschwänzt. Wer sich ansonsten selbst schlau macht und dem/der jeweiligen Richter/in, dem oder der sie/er zugeteilt ist, gut zuhört, sollte meines Erachtens auch ohne so ein Seminar durchkommen.

Mein erster Einsatz

Mein erster Fall war einer, der sich vor allem aus organisatorischen Gründen über zwei Termine erstreckte. Verhandlungen mit Schöffenbeteiligung müssen ja zwingend an bestimmten Wochentagen beginnen, die dafür vorgesehen sind; in diesem Fall hatte der Verteidiger Terminprobleme, da sein Mandant aber in Haft war, drängte das Ganze auch etwas.

Der Fall, der auf den ersten Blick ganz glasklar aussah, entpuppte sich im Verlauf der beiden Verhandlungstage und nach den Aussagen von Zeugen und auch der abschließenden Aussage des Beklagten zu seinen persönlichen Lebensumständen als sehr viel komplexer und schwieriger, als man hätte annehmen können. Das war insofern auch ein gutes Lehrstück darüber, wie schwierig so etwas sein kann. Die verhandelnde Richterin hat für meine Begriffe einen ganz fabelhaften Job gemacht. Offensichtlich war aber auch, wie stark in diesen Fällen der Richter den Prozess beeinflussen kann. Als Schöffin habe ich keine Akteneinsicht; all die Dinge, die sie a priori wusste, waren mir daher nur durch sie zugänglich. Von einer unvoreingenommenen Meinungsfindung kann damit keine Rede sein.

Mit dem Ergebnis der Verhandlung waren aber glaube ich alle Beteiligten mehr als einverstanden.

Das Jahr im Überblick

Ich hatte das große Glück, eine tolle Richterin und Mitschöffin zu erwischen. Unsere Richterin war offen, freundlich, souverän, hatte keine Vorbehalte gegen uns Schöffinnen, und operierte stets mit uns vertrauensvoll und auf Augenhöhe. Bei den Fällen, bei denen ich im Einsatz war, hatte ich das Gefühl, dass Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Richterschaft stets daran orientiert waren, eine optimale Lösung für alle Seiten zu finden.

In einem Fall waren die Dienste eines Übersetzers vonnöten, da die beiden Beklagten primär Farsi und nur gebrochen Deutsch sprachen. Witzigerweise hatte ich zu just diesem Verhandlungstag eine Ersatzschöffin im Team, die ebenfalls Farsi sprach.

Bei allen 4 Fällen, bei denen ich Schöffin war, waren in der einen oder anderen Form Drogen im Spiel. Drei der verhandelten Fälle hatten im Endeffekt Drogenkonsum und Sucht als Basis, der vierte grobe Dämlichkeit im Verein mit Drogenhandel. Die Beklagten waren ausnahmslos männlich, in der Altersgruppe 30-45, die Hälfte davon deutsche Staatsbürger, die andere Hälfte im weitesten Sinne aus dem Nahen Osten stammend.

Alle Zeug:innen, die vorgeladen wurden, erschienen auch, wenn auch mehr oder weniger willig. Die Aussagen rangierten von klar und präzise bis komplett wirr, und wenig hilfreich; in einem Fall widersprachen Zeugen der bekannten Faktenlage mit Nachdruck, was zu der für Erheiterung im Gerichtssaal sorgenden Szene führte, dass eine Zeugin behauptete, der Täter könne unmöglich der Beklagte gewesen sein, da sei sie sicher, woraufhin der Beklagte antwortete: „Doch, das war ich – da bin ich sicher.“

In einem Fall wurde kein Urteil gesprochen, sondern – nicht zuletzt auf Anregung eines Sachverständigen, und mit vehementer Zustimmung durch den Beklagten – die Auflage erteilt, dass vor einer neuen Verhandlung ein rechtspsychiatrisches Gutachten einzuholen sei. Gern hätte ich diesen Fall weiter verfolgt, aber leider dauert es häufig lang, bis solche Gutachten erstellt werden.

In zwei Fällen gab es Haftstrafen mit, in einem Fall eine ohne Bewährung.

Ende November habe ich meine neue Zuordnung zu einem anderen Richter und anderen Wochentag erhalten, allerdings wieder am Amtsgericht Wandsbek.

Fazit 2019

Gern hätte ich mehr als „nur“ 4 Fälle gehört.  Die Aufgabe einer Laienrichterin finde ich unglaublich spannend; ich habe auch sehr viel über das deutsche Rechtssystem gelernt, und meinen Horizont massiv erweitert – allein dafür lohnt sich der Einsatz schon. Gleichzeitig sehe ich nach 4 Einsätzen bereits Probleme und Grenzen des Systems von Verhandlungen mit Schöffen.

Ach ja: alle Verhandlungen (so nicht anders festgelegt) sind öffentlich. Wer sich so etwas mal anschauen möchte, kann jederzeit in das Amtsgericht seiner/ihrer Wahl gehen, und als Zuschauer:in einer Sitzung beiwohnen.

Interessant war für mich, wie viele Menschen es nicht die Bohne interessiert, ob etwas, das sie tun, verboten oder gar eine Straftat ist; in einigen Fällen fehlte den Beklagten (und Zeuginnen) offenkundig jegliches Unrechtsbewusstsein. Ebenso finde ich als jemand, der quasi null Erfahrungen mit Drogen hat (von passiv gerauchtem Gras und einer Valiumtablette nach einer Kiefer-OP abgesehen), erstaunlich, wie nonchalant und selbstverständlich einige Menschen harte Drogen als „recreative drugs“  nehmen und als ’no biggie‘ ansehen. Und schließlich und endlich ist die Vielfältigkeit der Zeugenaussagen ein probates Mittel, sich zu vergegenwärtigen, wie unterschiedlich Menschen Situationen sehen und bewerten, und wie selektiv Erinnerungen sein können.

Ich freue mich auf das nächste Jahr.


 Schöffin in Hamburg

Veröffentlicht in Querbeet

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